„Ich habe den Krieg verhindern wollen“
Neue Ausstellung über den Hitler-Attentäter Georg Elser / Denkzeichen in der Berliner Wilhelmstraße



Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand an der Stauffenbergstraße im Berliner Bezirk Mitte-Tiergarten würdigt Leben, Kampf und Sterben zahlreicher deutscher und ausländischer Widerstandskämpfer gegen das Hitlerregime und würdigt an ihrer ehemaligen Arbeitsstelle, dem Oberkommando des Heeres, die Offiziere rund um Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Als der Anschlag in der Wolfsschanze am 20. Juli 1944 misslungen war, verloren sie und unzählige andere Widerstandskämpfer ihr Leben.



Der Titel der Dauerausstellung im ehemaligen Bendlerblock bezieht sich auf die Inschrift „Ihr trugt die Schande nicht Ihr Wehrtet euch Ihr Gabt das Große ewig wache Zeichen der Umkehr Opfernd Euer heißes Leben für Freiheit Recht und Ehre“ vor dem Bronzestand


Georg Elser wird mit anderen „Helden ohne Degen“ am Spreebogen in Moabit durch eine von Kay Winkler geschaffene Bronzebüste geehrt. Die nachts beleuchtete und weithin sichtbare Installation des gleichen Künstlers an der Berliner Wilhelmstraße zeigt das Profil von Georg Elser. Schrifttafeln im Straßenboden zitieren ihn als einen Mann, der durch das Attentat auf Hitler den am 1. September 1939 vom Deutschen Reich begonnenen Zweiten Weltkrieg beenden wollte.



Elsers Zeitzünder-Bombe hatte eine gewaltige Wirkung. Sie tötete acht und verletzte 60 Teilnehmer einer Veranstaltung am 8. November 1939, die Hitler gleich nach einer Rede verlassen hatte.



Die Ausstellung zeigt, wie die Gestapo auf Spurensuche ging.



Hinter Elser konnte nur der britische Geheimdienst stehen. Dass er seine Tat ganz allein geplant und ausgeführt hatte, war für Hitler und die NS-Propaganda nicht vorstellbar.



Ein als „Geheime Reichssache“ deklarierter Schnellbrief vom 5. April 1945 weist den Kommandanten des Konzentrationslagers Dachau an, wie mit prominenten Häftlingen umzugehen sei und dass Elser „in absolut unauffälliger Weise“ liquidiert werden soll.

(Fotos/Repros: Caspar)

Der Schreiner Johann Georg Elser verübte am 8. November 1939, vor nunmehr 85 Jahren, im Münchener Bürgerbräukeller ein Attentat auf Adolf Hitler und die nationalsozialistische Führung. Da der Diktator wenige Minuten vor der Explosion den Versammlungssaal verließ, entging er dem Anschlag. Georg Elser wurde bald darauf in Konstanz festgenommen. Neben dem Attentatsversuch von Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 im Führerhauptquartier Wolfsschanze handelt es sich bei Elsers Anschlag um den einzigen, der Hitler gefährlich wurde. Historiker haben rund 40 Versuche dieser Art ermittelt. Hitler sagte in de Nacht zum 21. Juli 1944 im Rundfunk: „Ich weiß nicht, zum wievielten Male nunmehr ein Attentat auf mich geplant und zur Ausführung gekommen ist. (...) Ich selbst bin völlig unverletzt bis auf ganz kleine Hautabschürfungen, Prellungen oder Verbrennungen. Ich fasse das als eine Bestätigung des Auftrages der Vorsehung auf, mein Lebensziel weiter zu verfolgen, so wie ich es bisher getan habe.Nach qualvoll-langen Verhören bei der Gestapo gestand Elser die Tat, mit der er den Weg zum Ende des Kriegs ebnen wollte.

Freiheitsgefühl und Unabhängigkeitsstreben
Eine bis 28. Januar 2025 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand an der Stauffenbergstraße im Berliner Bezirk Mitte-Tiergarten laufende Ausstellung dokumentiert Elsers Leben und seinen Versuch, Hitler zu töten und damit den von ihm am 1. September 1939 vom Zaun gebrochenen Zweiten Weltkrieg zu beenden. Sie schildert, wie die Gestapo den Bombenleger in Konstanz aufspürte und wie versucht wurde, ihn als Handlanger des britischen Geheimdienstes darzustellen. Die nun einsetzende Pressekampagne hatte das Ziel, die Widerstandsbewegung in Verruf zu bringen und potentielle Attentäter abzuschrecken, weil Hitler als „Werkzeug der Vorsehung“ und, unter ihrem Schutz stehend, unverwundbar ist.

Georg Elser wurde am 4. Januar1903 in Hermaringen (Württemberg) als Sohn eines Landwirts und Holzhändlers geboren und muss ein musikalischer und geselliger Mann gewesen sein. Die Ausstellung bescheinigt ihm ein ausgeprägtes Freiheitsgefühl und Unabhängigkeitsstreben. Zwar war er Mitglied im Holzarbeiterverband und des Rotfrontkämpferbunds der KPD, doch hat er sich in beiden Organisationen nicht besonders engagiert. Bis 1933 habe er die Kommunisten gewählt, weil er sie für die beste Vertretung der Arbeiterinteressen hielt, wird in der Ausstellung berichtet. Er habe konsequent den Hitlergruß verweigert und auch nicht am Gemeinschaftsempfang von Hitlerreden im Rundfunk teilgenommen.

Wie hätte es weitergehen sollen?
Ein wichtiges Motiv für Elsers Gegnerschaft zum Naziregime war die Verschlechterung der Lebensbedingungen in der Arbeiterschaft und sein Wille, den am 1. September 1939 vom Deutschen Reich durch den Überfall auf Polen begonnenen Zweiten Weltkrieg dadurch zu beenden, dass die NS-Führung ausgeschaltet wird. Er habe festgestellt, dass die Löhne niedriger und die Abzüge höher wurden. Der Stundenlohn eines Schreiners habe 1929 eine Reichsmark betragen, heute würden nur noch 68 Pfennigen bezahlt, sagte Elser im Verhör. „Der Arbeiter kann z. B. seinen Arbeitsplatz nicht mehr wechseln, wie er will; er ist heute durch die HJ (Hitlerjugend, H. C.) nicht mehr Herr seiner Kinder, und auch in religiöser Hinsicht kann er sich nicht mehr so frei betätigen.“ Wie sich Elser die Zeit nach einem erfolgreichen Attentat vorstellte, ist nicht bekannt und wird in der Ausstellung mit dem Titel „Ich habe den Krieg verhindern wollen“ nicht erörtert.

In anderen Räumen der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und in ihren Publikationen wird dieses Thema anhand von Äußerungen und Dokumenten der Widerstandskämpfer rund um Claus Schenk Graf von Stauffenberg aufgegriffen. Flächendeckend die Nazi-Ideologie aus den Köpfen der Deutschen zu beseitigen und überall demokratische Strukturen zu schaffen, wäre für sie, wenn Hitler getötet worden wäre, eine gigantische Aufgabe gewesen. Denn auch ohne den „Führer“ wäre der Krieg nicht ohne Weiteres beendet und das militärisch und moralisch geschlagene Deutsche Reich in einen Rechtsstaat verwandelt worden. Die Länder der Anti-Hitler-Koalition, die auf die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht bestanden, hatten eigene Vorstellungen, wie die Deutschen für ihre Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen seien und wie Vertrauen in sie hergestellt werden könnte. Die neue Staatsführung mit dem General Ludwig Beck und Carl Goerdeler an der Spitze wäre von den Siegermächten kaum als Verhandlungspartner anerkannt worden.

Bürgerbräukeller war unbewacht
An anderer Stelle berichtet die Ausstellung, w i e Georg Elser seit 1938 seinen Anschlag vorbereitet hat. Die von ihm gebauten Geräte werden als Fotos und zum Teil als Nachbauten durch die Gestapo gezeigt. Dem Attentäter kam zugute, dass der Saal im Münchner Bürgerbräukeller, in dem Hitler zum Gedenken an seinen Putsch am 9. November 1921 in München sprach, nicht bewacht war. Da konnte jeder tun und lassen was er wollte. Diese Unvorsichtigkeit kam später in den Verhören bei der Gestapo zur Sprache. Elser baute seine Bombe in eine Säule in der Nähe des Rednerpultes und stellte den Zeitzünder ein. Alles funktionierte, aber Hitler war am Abend des 8. November 1939 nicht mehr im Saal, als die Bombe hochging. Acht Personen kamen ums Leben, weitere 60 wurden verletzt. Elser wurde noch am gleichen Tag in Konstanz beim Versuch verhaftet, in die Schweiz zu fliehen.

Im Herbst 1938 hatte Georg Elser systematisch mit den Vorbereitungen des Bombenanschlags auf Hitler begonnen. Als Mitarbeiter der Heidenheimer Armaturenfabrik besorgte er sich mindestens 250 sogenannte Presspulverstücke, die er zu Haus versteckte. Er entwickelten einen mechanisches Gerät mit zwei Uhren als Zeitzünder. Zugleich prüfte er die Möglichkeit eines illegalen Grenzübertritt bei Konstanz in die Schweiz. Um sich zusätzlichen Sprengstoff zu beschaffen, nahm er Arbeit in einem Steinbruch in Königsbronn an, wo er ab April 1939 mehr als 100 Sprengpatronen und über 250 Sprengkapseln entwendete. Nach einem Arbeitsunfall im Mai 1939 konnte er sich ganz auf seine Tat konzentrieren und übernahm im Juli 1939 erste Zündversuche im Obstgarten seiner Eltern.

Misshandelt und diffamiert
In der Nacht nach dem Anschlag setzte Heinrich Himmler,Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, eine Sonderkommission aus Beamten der Kriminalpolizei und der Gestapo ein. Bald darauf wurden sämtliche nahen Angehörigen des Attentäters festgenommen und nach Stuttgart gebracht. Bei seiner Mutter und den Geschwister und deren Ehepartnern wollte sich die Polizei einen Überblick über die Familie verschaffen, konte wohl aber nichts über deren Mitwissen und Mittäterschaft in Erfahrung bringen. Fotos in der Ausstellung zeigen Spuren von Misshandlungen in Elsers Gesicht, in der Nazipresse wurde er absichtlich unrasiert und unsympathisch vorgeführt. Hitler war mit den Untersuchungsergebnissen nicht zufrieden. Er verlangte von Reinhard Heydrich, dem Chef der Sicherheitspolizei im Reichssicherheitshauptamt, laut Memoiren von Walter Schellenberg, dem ehemaligen Chef der Spionageabwehr in diesem Amt, zu erfahren, „um was für einen Typ es sich bei diesem Elser handelt. Man muss den Mann doch irgendwie klassifizieren können. Berichten Sie mir darüber. Im übrigen wenden Sie alle Mittel an, um diesen Verbrecher zum Reden zu bringen. Lassen Sie ihn hypnotisieren, geben Sie ihm Drogen; machen Sie Gebrauch von allem, was unsere heutige Wissenschaft in dieser Richtung erprobt hat. Ich will wissen, wer die Anstifter sind, ich will wissen, wer dahintersteckt.“

Prozess fand nie statt
Da nichts zu erfahren war, ließen die Nazis von ihm ab und hielten ihn, von anderen Gefangenen und jeglicher Information über den Kriegsverlauf und seiner Familie abgeschnitten, in gesonderten Zellen fest. Der geplante Prozess gegen ihn fand nicht statt. Elser soll für seine Bewacher geschreinert und auf seiner Zither gespielt haben, ist in der Ausstellung zu erfahren. Als Teilnehmer und Protokollant von Hitlers sich über Stunden hinziehenden Monologe im Führerhauptquartier hat Henry Picker in seinem zwar viel gelesenen, aber stark umstrittenen und seinen damaligen „Chef“ in mildem Licht erscheinenden Buch „Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier – Hitler, wie er wirklich war“ (4. Auflage 1983) heißt es am 26. März 1942: „Er (Hitler) meinte dann zum Münchner Attentat im Bürgerbräukeller, dass der gefasste Mann sehr gerissen sei. Er sage genau nur so viel aus, als man bereits anderweit festgestellt habe.“ Picker fügte hinzu, angeblich habe Elser im Auftrag des britischen Geheimdienstes gehandelt, „jedenfalls war das Hitlers Version uns gegenüber.“ Wie beim Reichstagsbrand von 1933 glaubten Regimegegner im In- und Ausland zu wissen, dass die Nationalsozialisten selbst hätten das Attentat organisiert und Elser instrumentalisiert hatten, um den Glauben an den von der „göttlichen Vorsehung“ beschützten Führer zu stärken. Es dauerte nach dem Ende der Nazidiktatur und des Zweiten Weltkriegs noch viele Jahre, bis er als aufrechter, mutiger und nur durch einen Zufall gescheiterter Patriot anerkannt wurde. Lange weigerten sich Historiker, in Elser einen Widerstandskämpfer zu sehen, denn ein Gerücht sagte, Nationalsozialisten hätten ihn benötigt, um an Hitlers Stelle einen anderen Diktator einzusetzen. Auch den Kämpfern um Stauffenberg verweigerten große Teile der westdeutschen Gesellschaft Respekt und Ehrung, ja sogar materielle Wiedergutmachung. Auch die Familie von Georg Elser wusste lange nicht, was aus ihm wurde.

Alleintäterschaft klar bewiesen
Erst gegen Ende der 1960er Jahre fand der Münchner Historiker Lothar Gruchmann Elsers Verhörprotokolle in den Akten des Reichsjustizministerium. Sein Kollege Anton Hoch wertete alle Quellen aus, die Elsers Alleintäterschaft klar beweisen. In den 1980er und 1990er Jahren begann eine angemessene Ehrung des konsequenten Gegners der NS-Diktatur. Ein international beachteter Film mit Klaus Maria Brandauer als Regisseur und Hauptdarsteller brachte ihn im In- und Ausland einem großen Publikum nahe. Um die Erinnerung an ihn wachzuhalten, wurden überall in Deutschland Straßen, Plätze und Schulen nach ihm benannt und Denkmäler errichtet. Georg Elser und viele seiner Leidensgenossen erlebten die Befreiung des KZ Dachau durch die Amerikaner am 14. April 1945 nicht. Laut Befehl des Chefs der Geheimen Staatspolizei Heinrich Müller wurde er am 9. April 1945 erschossen. Wörtlich heißt es in dem Schnellbrief an den letzten Kommandanten des KZ Dachau, SS-Obersturmbannführer Eduard Weiter: „Auch wegen unseres besonderen Schutzhäftlings ,Elser' (hier geschrieben ,Eller', H. C.) wurde erneut an höchster Stelle Vortrag gehalten. Folgende Weisung ist ergangen: Bei einem der nächsten Terrorangriffe auf München bezw. auf die Umgebung von Dachau ist angeblich ,Elser' tödlich verunglückt. Ich bitte, zu diesem Zweck ,Elser' in absolut unauffälliger Weise nach Eintritt einer solchen Situation zu liquidieren. Ich bitte besorgt zu sein, dass darüber nur ganz wenige Personen, die ganz besonders zu verpflichten sind, Kenntnis erhalten. (…) Nach Kenntnisnahme dieses Schreibens und nach Vollzug bitte ich es zu vernichten.“ Dies ist nicht geschehen, das Dokument blieb erhalten und ist auch in der Elser gewidmeten Ausstellung und den Publikationen der Gedenkstätte Deutscher Widerstand zu sehen. Die Mörder warteten nicht bis zum nächsten Fliegerangriff, sondern töteten Elser am 9. April 1945 nach über fünf Jahren Haft heimlich und ohne Gerichtsurteil durch einen Genickschuss.

Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand ist Montag bis Freitag von 9 bis 18 Uhr und am Wochenende sowie an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet.

24. November 2024